Das digitale Sommersemester
Das nun endende Studienjahr stellte unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten vor ganz neue, ungeplante Herausforderungen. Von jetzt auf gleich war ab Freitag dem 13. März alles ganz anders. Hier berichten sie, wie das digitale Sommersemester für sie gelaufen ist.
„Eigentlich hätte ich ein Erasmus-Semester an der Universität Warschau absolviert. Damit hatte ich bereits begonnen und dann kam die Pandemie. Zum Glück haben wir als Studierende und Dozierende es in Zusammenarbeit geschafft, dass das Semester online fortgeführt wurde. Der Arbeitsaufwand war höher als in gewöhnlichen Semestern, aber es war sehr spannend, die Eindrücke der internationalen Kommilitonen zu erfahren.“
Michael Brandt, 3. Semester, Master Politik: Strukturen und Grenzen
„Das „Corona-Semester“ war für mich von meiner Mathematik-Bachelorarbeit geprägt, mit der ich nun nahezu fertig bin. Corona konnte mich natürlich nicht sonderlich vom Schreiben abhalten, da ich das auch sehr gut von zu Hause kann, allerdings war die Kontaktaufnahme und spontane Treffen mit Betreuungspersonen erschwert. Zusätzlich habe ich mich als studentische Hilfskraft des Mathematischen Instituts mit Lehre in Corona Zeiten auseinandergesetzt. Ich muss die Universität dafür loben, dass sie das Onlinekonferenztool BigBlueButton rechtzeitig auf die Beine gestellt hat. Die Plattform macht gute Lehre möglich, allerdings ist bestimmte Hardware hilfreich. Diese konnte ich mir zum Glück durch das Stipendium ohne Probleme leisten. Ich habe mir von dem Stipendiengeld ein Convertible Laptop gekauft, auf dem ich während der Übung, die ich leite, handschriftliche Notizen live mit den Studierenden teilen kann, was die Arbeit sehr erleichtert. Also hat das Stipendium sozusagen geholfen auch die Lehre ein bisschen zu verbessern.“
Vincent Peter Nikolaus Wolff, 4. Semester, Mathematik
„In Zeiten der Corona-Pandemie erlebe ich das digitale Sommersemester als herausfordernd und »still« zugleich. Herausforderungen sehe ich in den technischen Gegebenheiten und der stetigen Organisation, Planung und Verbindung in Seminaren und mit Kommiliton*innen. Diese neuen Routinen erfordern in ihrer Dynamik noch mehr Flexibilität eines jeden einzelnen Individuums, als die „akademische Freiheit“ schon zuvor zuließ. Mit dem Aspekt der Stille verbinde ich vor allem das Fehlen sozialer Netzwerke, das Fehlen der Lebendigkeit und das Fehlen des sozialen Austauschs. Vermutlich ist die Begrifflichkeit des Fehlens zu vorschnell gewählt, denn ich habe gelernt, dass auch ein soziales Miteinander auf digitalem Wege möglich ist, indem das Teilen von Ängsten und Sorgen, theoretischen Inhalten und Prüfungsvorbereitungen via Skype, Big Blue Button oder Zoom durchaus möglich ist und mir dabei hilft, das Semester in einer gewissen Art und Weise gemeinsam mit Freund*innen und Kommiliton*innen zu meistern.“
Lisa Hillebrecht, 3. Semester, Master Sportwissenschaften mit den Schwerpunkten Prävention, Rehabilitation und Psychosoziale Gesundheit
„Mit dem Beginn meines Studiums hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Von Zuhause ausziehen, in einer unbekannten Stadt wohnen, neue Leute treffen und viel eigenverantwortliches Lernen. Das erste Semester war daher schon ein kleines Abenteuer für mich und eine Reise ins Unbekannte, die ich auch trotz dieses sehr speziellen Sommersemesters nicht bereut habe. Das digitale Semester verlangt viel von uns, vor allem sich nicht unterkriegen zu lassen von der allgemeinen Situation mit ihren Schwierigkeiten, mit Selbstdisziplin zu lernen und immer wieder aus der Tiefe des „mentalen Lochs“ zu klettern, in das man durch soziale Isolation vielleicht gefallen ist. Was mir persönlich besonders fehlt, ist der ungezwungene Austausch mit Kommilitonen. Einfach mal mit jemandem zu reden, der gerade in derselben Situation ist, ohne sich vorher dafür verabreden zu müssen. Kein bisheriges Semester ist vergleichbar mit diesem, und allen ist zu wünschen, das auch kein weiteres so sein muss.“
Jorina Hilbert, 2. Semester, Humanmedizin
„Das Sommersemester ist ein ganz besonderes für mich, wie für uns alle. Besonders im klinischen Abschnitt des Medizinstudiums ist es natürlich sehr schade, dass alle Präsenzveranstaltungen, vor allem jene mit einem praktischen Schwerpunkt, auf ein Minimum reduziert werden mussten. Doch die Online-Lehre wurde für die so kurze Zeit der Vorbereitung gut organisiert und umgesetzt, sodass das dauerhafte Lernen zu Hause gut funktioniert. Die durch die Online-Lehre gewonnene Flexibilität hat auch einige Vorteile, vor allem da ich gerade mit meiner Doktorarbeit anfange und die Zeit im Labor und die Zeit zum Lernen viel einfacher vereinbaren kann.“
Sören Frederik Bock, 6. Semester, Humanmedizin
„Das digitale Sommersemester kam für mich ziemlich plötzlich und ist natürlich völlig anders als die Präsenz-Lehre. Die Dozierenden meines Studiengangs haben es schnell geschafft, die Module umzustellen und anzupassen. Das funktioniert größtenteils gut und hat auch nicht nur Nachteile: Ich kann Vorlesungen zu einem selbst gewählten Zeitpunkt anhören, kann mal stoppen oder eine Stelle doppelt anhören. Auch die Videokonferenzen sind in der Regel gut strukturiert. Bezüglich der Inhalte muss ich somit quasi nichts einbüßen. Die Atmosphäre – allein vor dem Laptop in einer Videokonferenz gegenüber gemeinsam im Seminarraum – ist natürlich dennoch anders.“
Andrea Schultalbers, 2. Semester, Master Psychologie
„Ich habe das akademische Jahr 2019/2020 mit meinem Forschungsprojekt für die Masterarbeit im Ausland (in Paracuru, Ceará, Brasilien) verbracht. Aus diesem Grund hat das digitale Sommersemester kaum Auswirkungen auf meinen Studienalltag gehabt, da ich ohnehin bei dem aktuellen Projekt viel selbstständig von zu Hause aus arbeite und dabei digitale Formen der Kommunikation nutze, während ich nebenbei meinen kleinen Sohn Nicolas betreue. Zeitgleich mit dem Beginn der Corona-Krise habe ich mein praktisches Studienprojekt, welches von dem Programm Kreativität im Studium mit Mitteln der AKB-Stiftung gefördert wird, fertiggestellt. Es handelt sich um eine Edition musikalischer Noten mit dem Titel „Ten Composers from Ceará – A Score Collection for Solo Guitar“. Planmäßig sollte die Edition in Buchform zeitnah publiziert werden. Wegen der Corona-Krise, die Brasilien besonders schwer betrifft, müssen diese Pläne nun allerdings neu konfiguriert werden.“
Henrike Eymess, 6. Semester, Master Kulturelle Musikwissenschaft
„Seit Beginn meines Arbeitssoziologie Masters schätze ich besonders den persönlichen Austausch und die wertvollen Diskussionen. Aber eine intensive Diskussion über Chatrooms? Kaum möglich. Zu den Problemen, denen wir momentan gegenübergestellt sind, zählen technische Hürden und soziale Belastungen. Doch auch das Gegenüber nicht mit der Mimik und Gestik wahrzunehmen, schränkt die lebhaften Diskussionen in Seminaren maßgeblichn ein. Es ist beeindruckend, wie schnell die akademische Lehre auf ein Online-Format umgestellt werden konnte. Trotzdem ist dieses Format für viele Studierende eine unüberwindbare technische als auch psychische Herausforderung. Negativ wirkt sich die Corona-Krise auch auf mein geplantes Auslandssemester aus. Im Herbst 2020 hatte ich geplant, das Leben und Studium in einem anderen Land kennenlernen. Leider wird der universitäre Betrieb dort auch im Herbst noch nicht vollständig wiederaufgenommen werden, sodass die Mobilität an gewissen Punkten definitiv eingeschränkt wäre. Wo kritisiert und sich gewünscht wird, zurück zum „Normalzustand“ zu gelangen, ergibt sich jedoch andererseits auch neues Potential. So hatte ich die Möglichkeit an einem kulturanthropologischen Seminar über die Katastrophenkulturforschung vor dem Hintergrund der Corona-Krise teilzunehmen. Dabei beleuchten die Teilnehmenden Krisen und Katastrophen aus einer wissenschaftlichen Perspektive. Mir wurde auch vor diesem Hintergrund immer deutlicher, dass keine meiner persönlichen Probleme eine Existenzbedrohung darstellen. Denn besonders durch die Isolations-Phase der Corona-Krise wurde umso mehr Raum gegeben, sich mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Themen und Diskussionen auseinanderzusetzen. Die aktuelle Solidarität, durch z. B. Nachbarschaftshilfe oder Spendenaktionen, sollte auch weiterhin Anlass geben, die soziale Ungleichheit dauerhaft zu vermindern und Chancengleichheit zu vermehren. Auch das Bewusstsein der eigenen Privilegien sollte nun deutlicher werden als je zuvor in unserer Generation.“
Johanna Zeidler, 3. Semester, Politikwissenschaft